Samstag, 29. August 2015

VOLLMOND

Es ist schon Mitternacht, als sich draussen die Nacht mit Silberlicht überzieht. Die Vollmondin hat sich endlich im Südosten über den Horizont erhoben und beginnt ihre Bahn über den sternklaren Himmel.

Ich ziehe mir nochmals was an und gehe hinaus, wiederum ein kleiner Spaziergang durchs Quartier.
Es ist so still und obwohl Samstag ist, sehe ich kaum noch Lichter in den Häusern. Unser Katerchen gesellt sich zu mir und fragt mit schüchternem Miau, was ich denn hier wolle.
Tja, wenn ich das wüsste. Mein Geruchssinn lässt mich heute wieder im Stich, aber ich erinnere mich noch an den würzigen Grasgeruch von vorletzter Nacht.

Leises Rauschen kommt von Wald und Bach herüber und ansonten ist da nur eine raumgreifende, grosse Stille, die diese Weite des Himmelszeltes verstärkt. Nur wenige Sterne sind zu sehen, da die Mondin ihre hohe Zeit hat und den Himmel dominiert. Auch alle Häuser, Strassen, Felder und Wälder sind in ihr silbernes Licht getaucht  und wirken wie vergeistigt. Die starken Farben des Tages sind weg, alles ist sanftes Licht und es scheint, als könnte man durch die Dinge hindurchsehen. Immer wieder schaue ich zu ihr hoch und fühle diese Kraft in Bauch und Herz, dieses Ziehen und Sehnen. Ich gehe heimwärts und will noch ein wenig trommeln, der Mondin zu Ehren.

Ein Streifen silbernes Mondlicht scheint durch das Dachfenster herein. Die Trommel beginnt. Klänge formen sich in meiner Kehle und steigen auf. Leise und langsam erst... In meinen Kreis gesellen sich einige Schamanenbekannte und ich begrüsse sie. Die Geisterlieder, die heute erscheinen, kommen irgend woanders her als sonst.
Und da erscheint aus des Mondes Schein eine silbern-helle Frauengestalt und stellt sich vor mich hin. Sie hat endlos lange, weisse Haare und strahlt eine heilige Anmut aus die mir Tränen des Glücks in die Augen treibt. Ich grüsse die Mondin und frage sie nach einer Botschaft für mich oder für die meinen.

Sie sagt nichts, lächelt jedoch und berührt mich an der Wange. Da stösst eine Welle von Gefühlen und Gedanken aus mir empor. Gefühle, die mich in letzter Zeit beschäftigen. Gefühle von Ungenügen, von Bedauern.  Das Bild einer Bilanz meines bisherigen Lebens, das unter dem Strich ins Minus zu gehen scheint.
Es bricht aus mir heraus und ich erkenne und lasse los. Sie nimmt es auf und mit, die Mondin.

Ich erkenne wiederum sehr deutlich die wundervolle Kraft der Mondin. Sie brennt nicht wie das Feuer des Sonnenvaters, sie ist weich, zart und milde. Die Sonnenkraft ist körperlicher, sexueller, physischer. Mit ihr kennen wir uns aus.
Doch die Kraft der Mondin ist anders, sie berührt uns ganz tief in der Seele und wirkt dadurch auf der emotionellen Ebene stärker. Sie ist die Kraft des Weiblichen, eine starke empfangende Kraft, die nicht nur Meere anzieht, sondern auch unsere Gefühle. Ich erkenne, dass wir uns öfter aus unseren lichtverseuchten nächtlichen Städte hinauswagen sollten. Hinaus auf die Felder, wo wir noch den direkten Strahl der Mondin Licht empfangen können. Es ist einfach stärker so und es ist heilsamer. Wenn wir es fertigbringen, dass die Kraft der Mondin in uns Saiten anschlägt die das Herzenswasser zum fliessen bringen, dann ist das eine wunderbare Reinigung.

Tief berührt danke ich der wundervollen Frau Mondin und auch den anderen Gästen in meinem Kreis und lasse Trommel und Gesang verstummen.

29. August 2015 / Bär

Dienstag, 7. Juli 2015

Sommer in der Stadt

Sommer in der Stadt. 
Ich sitze vor dem Restaurant Artemisia, das hat den besten Kaffee weitherum. 

Dahineilende Massanzüge zwischen flanierenden Frauen, Kindern und Touristen. Die Welt ist in Ordnung, die Sommerstimmung macht die Menschen fröhlich und ausgelassen. Die geschäftige Hektik, welche hier sonst herrscht, ist der Ferienstimmung gewichen. Ein Streifenwagen mit Sirene eilt vorbei und verliert sich irgendwo auf dem Weg zu was Wichtigem. 
Ich bestell mir einen zweiten Kaffee, denk nicht an die Kosten und geniesse einfach. 

Ich habe wieder Lust zu zeichnen. Lange Zeit hab ich mein Skizzenbuch unberührt gelassen, doch nun hab ich wieder die Musse Situationen und Stimmungen einzufangen. Irgendwo zu sitzen und mich in ein Motiv zu vertiefen ist wie Meditieren. Es tut so gut, den Stift gleiten zu lassen, das Motiv zu erforschen, neue Zusammenhänge, neue Formen zu entdecken. Die Zeit spielt keine Rolle mehr und dieses Hier und Jetzt bringt Leib und Seele ins Gleichgewicht.

Beim Zeichnen halte ich mich immer stark an ein Motiv. Die Kreativität liegt in dem, was in der Vielfalt des Motivs entdeckt und neu gestaltet wird. Beim zeichnerischen Erforschen zeigt sich, dass die Welt unendlich vielfältiger ist, als wir sie wahrnehmen. Hinter scheinbar alltäglichen, einfachen Dingen verstecken sich völlig neue Welten, die zu entdecken bloss etwas Geduld und ein entfesseltes Auge voraussetzt.

Barlok

Freitag, 26. September 2014

Im Andenken an Ailo Gaup


An dieser Stelle möchte ich auf den Bericht über ein interessantes Seminar mit Ailo Gaup hinweisen, welches 1997 in der Schweiz stattfand.

Ich kannte den wunderbaren schamanischen Roman "Der Noaide" von Ailo Gaup und lernte ihn an jenem Seminar persönlich kennen.  Mich hat an diesem Menschen seine Bescheidenheit und seine grosse Kraft beeindruckt. Er zeigte uns nebst vielem Anderem die wundervolle Heilkraft des heiligen Clowns. Und er überraschte uns fortlaufend, indem er uns immer weider "den Teppich unter den Füssen wegzog". Unter den vielen weltlichen Lehrerinnen und Lehrern, die ich im schamanischen Umfeld traf, war er mir ein besonders leuchtendes Vorbild.

Nun, lest selbst:

Ailo Gaup in der Schweiz

Ailo Gaup, der bekannte samische Schamane und Schriftsteller, hat im September 1997 an seinem Seminar in der Schweiz vieles aus der Kultur seiner Heimat mitgebracht.

"In der samischen Tradition kennen wir nicht Götter oder Göttinnen. Wir haben eine verwandtschaftliche Beziehung zu den Kräften der Natur und des Universums".

Diese Weltanschauung ist typisch für die ursprünglichen schamanischen Kulturen. So hat in den nördlichen Gebieten von Europa eine alte schamanische Tradition bis heute überlebt.

Das Seminar mit Ailo Gaup steckte voller Überraschungen. Niemand wusste, was uns erwartete und viele TeilnehmerInnen mussten vertraute Vorstellungen loslassen und konnten sich an Neuem versuchen.

Ailo sprach klar und mit Pausen, in denen sich die Energie im Raum statig erhöhte. Einzelne Sätze gingen in Gesang über - "Gesang trägt die Kraft der Worte direkt zum Herzen...". Singen und getanzte Gestik erschufen denn auch eine spezielle Stimmung der Poesie und dazwischen die sanfte Kraft der Stille. Plötzlich - uns aus einem immer mehr schwebenden Zustand auf die Erde zurückholend - ertönte ein lautes Lachen von Ailo; einLachen, welches durch die Kraft im Kreis übersprang von einem Teilnehmer zum andern. Wir erlebten ein Lachen ohne Witz, ein heiliges Lachen aus sich heraus, welches uns in einen ganz speziellen Zustand der Ekstase versetzte - an einen Ort, den die Sami "saiwo" (heilig) nennen. So erlebten wir eine in allen Traditionen sehr wichtige Rolle des Schamanen, diejenige des Clowns.

In frühen Kulturen ohne Radio und Fernsehen, ohne Auto und Flugzeuglärm, war der Klang der Trommel etwas Ungewohntes, welches dadurch dem Menschen den Zugangs zu anderen Erfahrungsebenen erleichterte. Heute ist unsere Welt voller Geräusche und Lärm, da ist es die Stille, welche für uns ungewohnt ist. Ailo machte spärlich von der Trommel gebrauch und gab uns Gelegenheit, uns der besonderen Kraft der Stille bewusst zu werden und sie zu nutzen, wie wir bisher die Trommel genutzt hatten.

Wichtiges Thema war das Schärfen der Sinne, um inneres und äusseres Gleichgewicht zu finden. Durch starke und teils für uns ungewohnte Imaginationen, durch Singen und Tanzen suchten wir dieses Gleichgewicht in uns, um aus diesem heraus neue Arten schamanischer Aktionen zu erleben. Einige Aspekte, die Ailo erläuterte, hatten starke Parallelen zum toltekischen Schamanismus. Andere wiederum schienen uns wohlbekannt und waren trotzdem voller Überraschungen.

Es war ein Seminar in einer starken und doch sanften und liebevollen Kraft von Heiterkeit und meditativer Ekstase.

Bernhard

"Für mich ist das Wort Schamanismus zu klein, zu eingengend. Der Schamane ist zwar neu erwacht, muss aber noch zu etwas Umfassenderem werden. Schamanismus ist keine Technik, es ist ein Prozess, ein Lernprozess. Ich wünsche mir, dass die schamanische Weltsicht expandiert, dass sich die geistige und die körperliche Energie vereinigen."

Ailo

Dieser Bericht ist in der KREISZEIT Nr. 15 von 1998 erschienen und nun publiziert auf
www.dreiwelten.ch unter "Beiträge".

Barlok

Dienstag, 23. September 2014

HERBST


Der Abend wird kühler und feuchter der Morgen
Herbst hat die ersten Pinselstriche über die Bäume gelegt
Die Blütenpracht im Garten ist verwelkt
Sie findet ihr Echo bald im herbstlichen Festkleid der Bäume
Wenn die schwere Frucht fällt und die Baumsamen herabschweben
Sich in die Erde zu legen für neues Leben
Dann beginnt der feierliche Tanz der Natur
Farbenfroh eingekleidet Strauch und Baum
Ein letztes Fest dem vollendeten Wachsen zu Ehren
Um sich dann nach innen zu wenden
Wenn das grosse, dunkle Innehalten beginnt
Die Kräfte vom Aussen nach innen strömen
Im Menschen uraltes Bangen dräut
Und das Tier seine Höhle aufsucht
Dann beginnt die grosse Zeit der Mondin Kraft
Dann schauen wir zurück und ordnen das Gewesene
Lassen das Überflüssige los und reihen Aufzuhebendes ein
Lasst uns mit farbigem Gesang, der Bäume gleich
Und mit Tanz diese Zeit feiern
Um dann freudig innehalten, um die Kräfte zu sammeln
Für den neuerlichen Kreis des Lebens

23. September 2014 / Bär

Montag, 24. März 2014

Der Schützer



Heisse Wut streicht ihm den Rücken herauf, packt ihn an den Schultern
Die kalte Morgenluft ströhmt durch seine Nase, füllt seine Lungen
die mächtige Brust hebt sich
berstende Kraft fährt durch seine Arme, ballt seine Fäuste
Stille
eisig klar streift sein Blick über das Land
im Ohr ein leiser Gesang von Seidenhaar
verharrt er und lauscht
dann reisst er den Kopf hoch
tritt hinaus vor das Tor, dem Mob entgeben
Gebrüll schlägt ihm entgegen und das Klirren von Waffen
langsam zieht er seinen schweren Streitkolben von der Hüfte
ein dröhnendes Knurren verlässt seine Kehle und er stürmt voran
sein schwerer Kolben schmettert
und unbarmherzig pflügt er die Angreifer nieder
einen nach dem andern
bis das Genöhle des Mob verstummt ist und einem Stöhnen und Ächzen Platz gemacht hat
Restwut stösst er mit einem schweren Atemzug aus
an einem Baum schlägt er das Blut von seinem Streitkolben
und kehrt zurück hinter die Palisaden
Ruhe ist nun im Dorfe
Sicherheit ist wieder entstanden
ängstlich schauen einige Bewohner aus ihren Hütten
er aber tritt mit festem Schritt den Weg zu seiner Hütte an
es drängt ihn hin zu seiner Heimstatt die er verteidigt hat
hin in die Wärme seines Feuers
hin in die Geborgenheit seiner Frau
hin in die leuchtende Schönheit der Zweisamkeit mit Seidenhaar
dort ist die Quelle seiner Kraft
dort ist das Fundament seines Mutes
die Mitte seines Lebens
und einmal mehr
hat er erfolgreich bestanden
lässt sich nun fallen
in den Schoss der Lebensbringerin
und draussen erwacht der Tag

Bär // 25 Feb 2012

Sonntag, 26. Januar 2014

Gedanken zu Leben und Tod


(zum frühen Hinschied meiner Schwester)

Das Loch - das der Tod eines Menschen bei den Hinterbliebenen hinterlässt, schmerzt. Es wirkt uns bedrohlich, wir empfinden es als einen Fehler. Es sollte nicht sein.
Doch dieses Loch bietet auch die Chance, dass wir es wieder neu füllen. Mit neuem Leben, mit neuen Beziehungen. Es ist wie ein frisch gepflügter Acker in den wir bloss zu säen brauchen. Wenn wir uns aber ob der Fruchtlosigkeit des gepflügten und unbesäten Ackers grämen, dann wird er für immer so bleiben, zerbröseln und zerfallen.

Der Tod und das Sterben
Wenn wir den Tod als eine Geburt in ein anderes Leben betrachten, dann bekommt auch das Sterben eine andere Bedeutung. Da Sterben oft mit Leiden und Schmerzen begleitet ist, so könnte man dies doch auch als Geburtswehen hin auf die Geburt in das Lichtreich sehen. Auf diese Weise bekommt das Sterben eine völlig andere Bedeutung. Es nimmt nicht den Schmerz weg, aber die Hoffnung darin macht es leichter ihn zu ertragen.

Die Ungewissheit
Die Angst vor dem Tode rührt vermutlich nicht bloss davon her, dass wir alles Gewohnte und Liebgewonnene loslassen müssen. Ich sehe auch die Angst vor dem Ungewissen, Unbekannten. Wir haben keine Bilder von der Welt in welche wir danach gelangen und so herrscht in unserer modernen Kultur auch oft die Angst vor dem absoluten Nichts. Aber vielleicht soll das so sein, da wir ansonsten in der Erwartung dieser wundervollen neuen Welt dieses Leben allzu oft frühzeitig verlassen wollten.

Die Ahnengalerie
Wenn ich mir überlege, dass ein ganzes gelebtes Leben mit seinen Millionen Facetten nun auf ein paar Bilder reduziert wird, dann ist das irgendwie erschreckend. Doch das Leben dient wohl nicht dazu, ein Archiv an abrufbaren Erinnerungen aufzubauen. Viel mehr ist das Leben selbst Sinn und Zweck. Es ist also nicht das Ziel das zählt, es ist der Weg. Und wenn wir am Schluss unseren Lebensteppich betrachten, dann zählen wir nicht die Knoten, sondern wir nehmen diesen leuchtenden Teppich als Ganzes wahr.
Und zudem ist eine Ahnengalerie noch immer irgendwie lebendiger als ein kalter Stein auf einem Grab.

Bär

Sonntag, 3. November 2013

Lebenswasser




Im nahen Walde beim reinen Quell holt er das Wasser
während auf dem Speicher die Körner im leichten Rauch trocknen
Den Maische Bottich rührt er um
und macht nun Feuer unter den Brennblasen
nur das Feuer und das Blubbern ist in der Stille des Raumes zu hören
und langsam schlagen die ersten Tropfen ab
der Geist einer neuen Ernte tropft herab
und wird mit dem Quell wiedervereinigt um im Fass zu reifen
und während draussen Jahre vergehen
während Reiche entstehen und vergehen
währen Menschen sterben und geboren werden
unbekümmert von all dem Schmerz und all der Freude
reift das Lebenswasser heran
bis es gezapft wird
nach langer Zeit fliesst es golden vom Hahn
das neue uisge beatha
das neue Lebenswasser für den Stamm
um den Schmerz zu vertreiben und Freude zu bringen
nun denn - Slàinte

Bär